Toshiba TG01

(21.07.2009 00:00 CET)

Lange war Toshiba nach einigen bemerkenswerten Windows Mobile-Geräten untergetaucht, dann kam - für Viele überraschend – die Ankündigung auf dem Mobile World Congress 2009 in Barcelona, dass man mit dem TG01 ein gleich in mehreren Bereichen revolutionäres Gerät entwickelt habe: als erstes Gerät verwendet es einen Snapdragon-Prozessor mit 1Ghz Taktfrequenz, mit 4.1 Zoll hat es das größte verfügbare Display unter den Windows Mobile-Geräten und gleichzeitig ist es das dünnste Gerät mit integriertem Touchscreen. Kurze Zeit später dann die Ankündigung von O2, das Gerät in Weiß als erste exklusiv zu vertreiben.
Passend zu meinem Urlaub und der Entscheidungsfindung, welches auch Badeshort-geeignete Gerät mitkommen sollte, war das TG01 in den O2-Shops lieferbar.



Normalerweise sind meine Testberichte strukturiert nach den einzelnen Bereichen des Gerätes und seinen Anwendungen aufgeteilt, in diesem Fall aber ist das Vorgehen anders. Das TG01 ist für mich – vorsichtig formuliert – das schillerndste Beispiel für verschenkte Möglichkeiten und suboptimale Umsetzung. Nach zwei Wochen Dauernutzung sind einige Punkte offenbar geworden, die für mich ganz massiv störend und aus meiner Erfahrung mit den Ansprüchen den „Ottonormalkunden“ allgemein interessant sind. Diese ziehe ich bei der Bewertung des Gerätes vor.

 
Meine Anwendungen und Anforderungen: Kommunikation – immer und überall. Ob es nun die Synchronisation aller Elemente von meinem Exchange-Server ist, das Schreiben von Emails und SMS, das Surfen im Internet: Schnell, stabil und komfortabel muss es sein, auch ohne Hardwaretastatur soll das Gerät in annehmbarer Geschwindigkeit bedient werden können. HTC Touch HD; Touch Diamond und Diamond 2 (und nicht zuletzt das iPhone, das auf Grund des Gerätedesigns zwangsweise als Vergleichsobjekt für die Bedienbarkeit herhalten muss) haben eindruckvoll bewiesen, dass dies problemlos möglich ist.

Nun hat das Toshiba TG01 ein (teilweise sogar deutlich) grösseres Display als die Vergleichsgeräte, und das lässt die Hoffnung auf eine noch bessere Bedienbarkeit zu. Und genau da scheitert das TG01 in der Praxis kläglich:

1.) Messaging und die Bildschirmtastatur
Auf den Vergleichsgeräten schaffe ich es nach kurzer Zeit, eine Mail, SMS oder einen kurzen Text flüssig und schnell zu schreiben, ohne dauernd korrigieren zu müssen. Das funktioniert beim TG01 leider nur unbefriedigend: Egal, wie man es kalibriert (und das bei zwei unterschiedlichen Geräten getestet, um einen Hardwaredefekt auszuschließen), je nach Druck, den der Finger ausübt, registriert das Gerät die Berührung mal genau auf dem Punkt, mal einen knappen Zentimeter darüber. Dies lässt sich übrigens auch im Startmenü reproduzieren, liegt also nicht an der Bildschirmtastatur.
Hinzu kommt, dass die einstellbare Vibration bei der Berührung des Displays eher kontraproduktiv ist: oft vibriert das Display, aber auf den Bildschirmtastatur ist keine Taste angewählt, das so angedachte spürbare Tastaturfeedback ist also eine trügerische Sicherheit. Auf der anderen Seite stört es beim Telefonieren mit dem Gerät am Ohr, denn da vibriert es bei jeder kleinen Berührung am Ohr.
Jetzt könnte man meinen, dass ein Drehen des Displays und das damit drehende Display die Tastatur noch mal vergrössern und damit die Treffergenauigkeit erhöhen... und auch damit irrt man. Übrigens ist dies tatsächlich ein Problem des Displays selbst: Es tritt nur bei der „ungenauen“ Bedienung mit den Fingern auf. Nimmt man einen Stift (der  in einer rudimentären Form beiliegt) oder einen Fingernagel, dann ist das Display superpräzise.

2.) Das automatische Drehen des Displays
Das TG01 hat – wie die Vergleichsgeräte auch – einen Bewegungssensor, der unter anderem dazu verwendet werden kann, die Displayausrichtung automatisch anzupassen. Ist das Gerät im Querformat, dann wird das Display ebenfalls gedreht. Wenn es funktioniert, dann ist das eine hilfreiche Funktionalität: Internetseiten sind sowieso eher im Querformat, und beim Schreiben von Nachrichten ist das Querformat deshalb interessant, weil es die Breite der Tastatur und damit eben auch der einzelnen Tasten erhöht. Soweit die Theorie... Toshiba hat das Drehen des Displays mit einer Animation hinterlegt, in der das Display kurz geleert und dann nach der neuen Ausrichtung wieder „gefüllt“ wird. Nun treffen zwei Dinge aufeinander, die sich behindern: Der Bewegungssensor ist sehr sensibel, schnell zur Änderung der Bildschirmausrichtung führt, auch wenn man das gar nicht will. Durch die Animation dauert das Umschalten ca. 2 Sekunden, in denen das Display leer oder im Aufbau ist. Beides zusammen führt dazu, dass man schnell entnervt die Einstellungen ändert und die automatische Drehung ausschaltet. Als erfahrener Anwender versucht man dann, die Bildschirmdrehung auf eine Hardwaretaste zu legen (von denen das TG01 wenige hat, die Kamerataste aber würde sich dafür anbieten). Die Ernüchterung folgt auf dem Fuße: in den Einstellungen: Die Tasten können nicht umbelegt werden (bzw.  nur durch Zusatzsoftware). Nicht nachvollziehbar, aber frustrierend.

3.) Die Displayqualität/Medienwiedergabe
4,1 Zoll... da schlagen die Herzen der Anwender höher: so groß war bisher noch kein PDA-Display, und das prädestiniert das TG01 für das Surfen im Internet und die Bild- Videowiedergabe. Schaltet man das Gerät ein, dann bleibt der Mund tatsächlich offen: Riesig, kontrastreich, scharf, einfach klasse.
Keine Frage, es macht riesigen Spaß, auf dem TG01 einen Film zu schauen (der Coreplayer ist vorinstalliert, damit können die gängigsten Videoformat problemlos abgespielt werden). Dies liegt nicht zuletzt am Prozessor, der bei solchen Anwendungen die geballte Macht seiner 1GHz Taktfrequenz ausspielen kann.
Was man aber tunlichst vermeiden sollte: Die Verwendung des Displays in der Sonne! Ich habe schon viele Geräte in grellem Sonnenlicht verwendet, und bei den meisten waren die Displays noch nutzbar. Nicht so das TG01: Neben dem (der Grösse geschuldeten) Problem der Spiegelung des Displays ist nichts mehr an Inhalten zu erkennen. Selbst das fotografieren, bei dem es ja nur auf die Ausrichtung des Displays auf das Motiv ankommt, ist ein Glücksspiel.
Die geringe Dicke von 9,9 Millimetern führt dann zusätzlich zu einem weiteren Problem bei der Medienwiedergabe: Offensichtlich war für einen vernünftigen Lautsprecher kein Platz, der verbaute ist signifikant zu leise. Das führt unter anderem dazu, dass man seine Klingeltöne möglichst laut abspeichern sollte, um eine Chance zu haben, sie in Umgebungen mit Nebengeräuschen auch zu hören. Meine beiden Standardklingeltöne, die ich seit Jahren auf all meinen Geräten einsetze, musste ich um 7DB anheben, um ein vergleichbares Lautstärkeniveau zu anderen Geräten zu haben.

4.) Batterielaufzeit
Ich kann den allgemeinen Anspruch der „Normaltelefonbesitzer“ an ein Smartphone oft nicht verstehen: Natürlich hat ein kleines Gerät mit wenig Funktionen und einem kleinen Display eine höhere Standbyzeit als ein Smartphone mit einem 3,2-4,1-Zoll Display mit Hintergrundbeleuchtung und allen möglichen Funktionen. Ich erwarte keine 4-5 Tage Standbyzeit. Aber ich erwarte zumindest, dass ich über einen normalen Tag (ohne stundenlange Telefonate) komme. Und selbst das wird beim TG01 kritisch. Mit aktivierter Push-Mail, automatischer Helligkeitsregulierung des Displays, moderatem Telefonieren und Nutzen kommt es immer wieder vor, dass am Abend die Akkuwarnung ertönt. Das ist nicht nur in dem speziellen Fall, in dem es geschieht, ärgerlich, sondern es verunsichert den Anwender, der schon mittags sorgenvoll auf die Batterieanzeige zu starren beginnt und das Gerät lieber einmal weniger nutzt, als nachher mit leerem Akku da zu stehen.

5.) Design und Haptik
Ich gebe es zu. Diese Punkte sind arg subjektiv und bereits vor dem Kauf bekannt: Wer ein kleines, handliches Gerät will, der kauft eben kein TG01. Und ohne Frage: es gibt auf dem Markt kein anderes Gerät, das bei einer solchen „Nutzgrösse“ so leicht und flach ist. Das TG01 ist trotz seiner Leistungsdaten problemlos in der Hosen- oder Hemdtasche (oder eben der oben angesprochenen Schwimmshorts) zu transportieren, ohne dass es aufträgt. Das an sich ist eine wirkliche Leistung. Dass diese ihren Preis hat, ist sicherlich nicht verwunderlich: Das TG01 ist aus Plastik, auch die vermeintliche Chromleiste um das Display herum ist nur scheinbar edel... dafür aber leicht.
Ein wenig mehr Sorgen macht der Akkudeckel: dieser ist extrem dünn und leicht, die ihn am Gerät arretierenden Haken sind es ebenfalls. Das ist solange kein Problem, wie man nicht häufiger den Akku, die SIM-Karte oder die micro-SD-Karte nutzt. Gerade bei letzterer ist ein Zugriff allerdings immer mal wieder nötig, und da bleibt ein wenig angst davor, dass der Deckel dies nicht lange mitmacht.
Design ist immer eine Frage der persönlichen Vorlieben, und in sofern schwer objektiv zu beurteilen. Ein grosses Gerät muss nicht plump wirken, dass beweist das TG01 eindrucksvoll durch seine geringe Dicke. Die Tatsache, dass das Gerät länger geworden ist als die Konkurrenz, die in vielen Fällen ja fast nur noch aus Display besteht, ist ein Preis, den man bereit sein muss zu zahlen.

 



6.) Die Benutzeroberfläche
Ich bin ein erklärter Nicht-Fan von Touch FLO 3D, der Benutzeroberfläche, die HTC seit Jahren in immer weiter verfeinerten Versionen über das Windows der eigenen Geräte legt. Allerdings nicht, weil ich es nicht mag, sondern weil ich eher ein Freund des Individuellen bin.
Nun hat Toshiba mit „Stripe“ eine Eigenentwicklung auf das TG01 gepackt, die dem TG01 ein eigenes Gesicht verleiht: in farbigen Spalten (deren Design verändert werden kann) werden Elemente Thematisch angeordnet (z.B. Nachrichten, Internet, Anwendungen, Player, Telefon, Medien, Einstellungen etc. In diesen Spalten wiederum stehen vordefinierte Elemente zur Auswahl bereit, die dann in der jeweiligen Spalte angeordnet werden können. Bei aller Vaiabilität also trotzdem eingeschränkt. Das kann für den Normalanwender funktionieren, für den etwas anspruchsvolleren Anwender aber führt auch das schnell zu Frust: benötigt man Elemente aus mehr als drei Kategorien/Spalten, dann muss man durch „Wischen“ mit dem Finger auf eine zweite Seite wechseln, eine freie Verteilung der Elemente zur optimalen Platznutzung geht schlicht und einfach nicht.
Nun ist das nichts, was die Konkurrenz signifikant besser machen würde: Auch TouchFLO 3D ist in seinen Möglichkeiten eingeschränkt.
Hinzu kommt aber, dass jeder Absprung ins System (zu Einstellungen, zu den PIM-Daten etc.) direkt ins unveränderte Betriebssystem führt. HTC hat da deutlich mehr Aufwand betrieben, um Systemmenüs durch schönere, angepasste Varianten zu ersetzen. Und da kommt die Fingerbedienbarkeit schnell an ihre Grenzen und man vermisst den Stift, den man eigentlich gar nicht nutzen möchte und der vor allem auch nicht beiliegt.
Das allerdings lässt sich ein wenig entschärfen, wenn man beispielsweise Spb Mobile Shell 3 verwendet, das eine  extrem schicke und weitestgehend konfigurierbare Oberfläche erzeugt.

Genug gemeckert? Ich bitte noch einmal zu beachten, was bei mir die Anwendung für das Gerät war. Ohne Messaging und ohne die Akkulast einer Push-Verbindung per HSDPA/UMTS ist das TG01 nicht schlecht und wird eine Käuferschicht ansprechen und weitestgehend zufriedenstellen. Der Gesamteindruck ist allerdings zwiespältig: Auf der einen Seite setzt es sich durch Design, Displaygrösse und Oberfläche nah ans iPhone, auf der anderen Seite scheitert es genau an diesem Anspruch, denn die Oberfläche stellt zu wenige Funktionen tatsächlich auf eine fingerbedienbare Weise zur Verfügung, und so greift man virtuell doch immer mal wieder zum Stift.

Nicht falsch verstehen: Das Toshiba TG01 ist kein schlechtes Gerät, aber es bleibt hinter den Möglichkeiten, die Windows Mobile und die technische Hardwareplattform bieten, einfach zu weit zurück und nutzt sein Potential nicht aus. Das ist vor allem deshalb ärgerlich, weil es alleine durch die PR des Mobile World Congress, den Namen Toshiba und seine Leistungsdaten das Potential hat, von der breiten Masse wahrgenommen zu werden.

Preis:

EUR 500,- ohne Vertrag bei O2

Fazit:

Der 1GHz-Prozessor schafft eine Performance in der Medienwiedergabe, die ihresgleichen sucht, im Inneren ist das Display auf Grund seiner Größe und seiner Auflösung für alle Anwendungen eine Augenweide, und GPS, WLAN, HSDPA/UMTS, Bluetooth lassen alle gängigen Kommunikationsarten problemlos zu. Einen Blick ist das TG01 allemal wert, einen Kauf sollte man aber sehr stark von der gewollten Nutzung abhängig machen. Für mich ist es eher ein Ferrari mit Fahrradlenker und Klappstuhl als Fahrersitz, und bei aller Freude über den Ferrari vergällen mir der Fahrradlenker und der Sitz den Spass derart, dass ich lieber eine gut ausgestattete Mercedes E-Klasse wie den Touch Diamond 2 wähle.

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